Pressemitteilung – 18.10.2017

Nationalakademie Leopoldina fordert ein neues Embryonenschutzgesetz

Leserbrief ZEIT Kolumne im Bereich Wissen: Regelt das endlich!
Autor: Martin Spiewack

Das Plädoyer durch Herrn Spiewak, endlich ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz zu verfassen, findet unsere uneingeschränkte Zustimmung. Gerne möchten wir aber noch ein wichtiges Argument hinzufügen. Die Embryologie als Forschungsdisziplin wurde von herausragenden deutschen Forschern mitgegründet. Begriffe wie Zygote, Furchungsstadien, Morula und Blastozyste, die sehr vor Jahrzehnten exakt die zellulären Frühstadien vor der Einnistung beschreiben, wurden von deutschen Embryologen eingeführt. Im englischen Sprachraum fiel diese Differenzierung weg, und der Terminus Embryo fand für alle Frühstadien allgemeine Verbreitung: ein semantisches Problem, welches bis heute eine differenzierte Betrachtung der Frühentwicklung und des Lebensbeginns – auch in ethischer Sicht – erschwert.

Gerade angesichts der Tatsache, dass Kontrazeptionsmethoden erlaubt sind, die auf Stufe der Einnistung des Embryos angreifen (Spirale, Minipille, Pille danach), erscheint es angesichts millionenfacher Anwendung dieser Methoden merkwürdig, dass die ohnehin wenigen, aber überschüssigen Embryonen in klinischen Einrichtungen nicht für die Erforschung von optimierten und vor allem effizienteren Methoden der assistierten Befruchtung Verwendung finden dürfen.

Die deutschen Reproduktionsmedizinischen Zentren gehören zu den am besten und modernsten ausgestatteten Kliniken der Welt. Zur Entwicklung der hier angewandten Methoden haben deutsche Einrichtungen in den letzten 30 Jahren allerdings kaum beigetragen: Für Innovation und Fortschritt waren wegen der gesetzlichen Verbote meist ausländische Forscher verantwortlich. Damit wurden für diese reproduktionsmedizinische Forschung nur im Ausland generierte Embryonen verwendet. Sind die Regeln der deutschen Reproduktionsmedizin nach Herrn Spiewak im Mittelalter, so ist die Forschung in der klinischen Embryologie noch nicht einmal mehr existent.

Dabei gibt es sehr gute Forschung, die vor allem die männliche Reproduktionsfunktionen und die Spermienfunktion betreffen. Hier sind deutsche Forscher führend. Auch in der Embryologie gibt es Spitzenforschung. Allerdings nur mit Mäusen. In europäischen Verbünden müssen deutsche Wissenschaftler immer dann die Forschungsgruppen verlassen, wenn die vielversprechenden Ergebnisse aus Studien an Mausembryonen für eine klinische Anwendung getestet werden sollen. Wir machen nicht mit – primär, wie Herr Spiewak sagt, aus Angst und Misstrauen gegenüber unseren Forschern. Wer aber kategorisch nicht mitspielt, wird auch die Regeln des Spiels nicht ändern können. Dies gilt sowohl im Labor als auch in der ethischen Debatte. Eine Änderung der gesetzlichen Regeln sollte deshalb – neben einer Verbesserung der Situation für die Patienten – auch Forschungsoptionen zulassen, damit deutsche Forscher in hoher Verantwortung und unter strengen Auflagen und Kontrollen forschen und damit den globalen wissenschaftlichen und ethischen Diskurs mitbestimmen können.

Prof. Dr. rer.nat. Stefan Schlatt, Prof. Dr. med. Sabine Kliesch, PD Dr. rer.nat. Verena Nordhoff Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie der Universität Münster

http://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/nationalakademie-fordert-ein-fortfpflanzungsmedizin-gesetz-15251291.html

http://www.zeit.de/2017/43/embryonenschutzgesetz-kuenstliche-befruchtung-reproduktionsmedizin-reform