Pressemitteilung

Sektion Natürliche Fertilität

Warnung vor FDA-zugelassener Verhütungs-App

Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drugs Administration) hat die App “NaturalCycles” als Verhütungsmittel zugelassen. Der BVF hat bereits eine Warnung veröffentlicht (siehe Pressemitteilung).

Die Sektion Natürliche Fertilität der DGGEF teilt die kritische Einschätzung und konkretisiert wie folgt:

  1. Kritik an der grundsätzlichen Basis von NaturalCycles

Mit der zur Verhütung ausgewiesenen Zyklus-App NaturalCycles wird die morgendliche Basaltemperatur gemessen und in einem firmeninternen Algorithmus ausgewertet. Das fruchtbare Fenster wird dabei jedoch nicht im laufenden Zyklus bestimmt, sondern auf der Basis von vergangenen Temperaturanstiegen und anderen früheren Zyklusdaten vorhergesagt. Das Entscheidende ist, dass keine Daten aus dem aktuellen Zyklus berücksichtigt werden, sondern Prognosen aufgrund von Daten aus Vorgängerzyklen vorgenommen werden. Bei einer Anfängerin werden sogar Prognosen vorgenommen, noch bevor die App Daten der Anwenderin registriert hat. Die Anwenderin wird nach der durchschnittlichen Zykluslänge gefragt und daraus werden die fruchtbaren Tage für den Folgezyklus prognostiziert. Dies hat mit dem aktuellen Zyklus nichts zu tun. Außerdem wird nicht einmal die volle Schwankungsbreite der Vorzyklen berücksichtigt, sondern teilweise gemittelte Werte aus nur wenigen Zyklen. Die Zykluslänge und damit das fruchtbare Fenster und der Ovulationszeitpunkt schwanken jedoch bei mehr als der Hälfte aller Frauen natürlicherweise um mehr als 7 Tage. Deshalb ist aus physiologischen Gründen eine Vorhersage des fruchtbaren Fensters und des Ovulationstags nicht möglich.

Die fruchtbare Zeit wird also bei Natural Cycles lediglich vorhergesagt und nicht im aktuellen Zyklus aus Zyklussymptomen ermittelt. Anhand der gemessenen Temperaturkurve korrigiert die App zwar im Nahhinein die fruchtbare Zeit, allerdings erst nach deren Ende, also zu spät für die Anwenderin. Wie bei allen Prognose-Apps kann damit grundsätzlich keine Sicherheit zur Empfängnisverhütung im aktuellen Zyklus erreicht werden.

  1. Vorliegende Studien:

Hauptkritikpunkte sind: unsichere Identifizierung der ungeplanten Schwangerschaften, statistisch falsche Berechnung der Methodensicherheit /des Methodeneigenversagens, hoher drop-out, Datensammlung und -auswertung vom Unternehmen selbst, in wesentlichen Punkten sehr lückenhafte Daten.

Die jüngste Studie weist sehr große Fallzahlen auf (22785 Frauen; 18548 Frauenjahre). Nach einem Jahr waren bereits 54% der Anwenderinnen wieder ausgeschieden, bei vielen war nicht bekannt, ob sie wegen einer ungeplanten Schwangerschaft ausgeschieden sind. Deshalb hat man diese einfach eingeteilt in wahrscheinlich schwanger/unwahrscheinlich schwanger /möglicherweise schwanger. Nur die erste Gruppe floss in die Rate zur Berechnung der Verhütungssicherheit. Verwirrend ist die Angabe von zwei verschiedenen Berechnungen zur Methodensicherheit („perfect use pregnancy rate“ und „method efficacy“). Beide Schwangerschaftsraten bezeichnen das Methodeneigenversagen, also die Rate der ungeplanten Schwangerschaften, die trotz korrekter Anwendung auftritt. Diese wichtige Rate zur Verhütungssicherheit wird heute in einer einzigen Zahl ausgedrückt. Dies ist in dieser Studie nicht möglich, da häufig die Information zum Sexualverhalten fehlt: in 47% der ungeplanten Schwangerschaften ist das Sexualverhalten nicht bekannt. Deshalb wurden zwei Raten zur Methodensicherheit berechnet. In die perfect use Rate sind nur 17 der ungeplanten Schwangerschaften eingeflossen. Weitere 102 Schwangerschaften, in denen die App die fruchtbaren Tage nachweislich falsch prognostiziert hatte, sind separat in die sogenannte Methodensicherheit eingeflossen, die wiederum -wie bereits in der Vorgängerstudie- statistisch nicht korrekt nach der von Trussell angegebenen Vorgehensweise berechnet wurde (die Schwangerschaften wurden auf eine zu hohe Zyklusbasis bezogen). Zusätzlich besteht das Problem, dass in dieser Rate die Frauen, die als „möglicherweise schwanger“ (402 Frauen) und als „unwahrscheinlich schwanger“ klassifiziert wurden, komplett ausgeschlossen wurden.
Es gibt also zwei Probleme: erstens weiß man grundsätzlich nicht, wie viele der Ausgeschiedenen ungeplant schwanger waren und zweitens weiß man bei den nachgewiesenen ungeplanten Schwangerschaften in 47% (603 Schwangerschaften) nicht, ob die betreffende ungeplante Schwangerschaft aufgrund eines Methodenversagens oder aufgrund von inkorrektem Nutzerverhalten zustande kam, da kein Sexualverhalten beschrieben war.

Die Autoren geben selbst zu, dass der Schwangerschaftsstatus in gewissem Ausmaß nur auf plausiblen Annahmen beruht und dass es in ihrer Art von Studie „weniger klar ist, wer als schwanger zu betrachten ist“ – was jedoch der entscheidende Punkt bei der Berechnung der Effektivität einer Verhütungsmethode ist.

Die Gebrauchssicherheit oder typical use Rate wird nach Trussell und anderen namhaften Statistikern schon seit mehreren Dekaden zyklusbezogen und im Life table (nicht nach der Pearl-Formel) berechnet. Deshalb beträgt die Gebrauchssicherheit bzw. typical use-Schwangerschaftsrate in dieser Studie 8,3% (Schwangerschaftsrate pro 100 Frauenjahre). Das Problem ist auch hier, dass in dieser Rate die Frauen, die als „möglicherweise schwanger“ und als „unwahrscheinlich schwanger“ klassifiziert wurden, komplett ausgeschlossen wurden.
Zu früheren Studien des Anbieters: In der ersten Studie mit 1501 Zyklen, die lt. Hersteller zeigt, dass der Algorithmus „mit hoher Präzision“ den Ovulationstag identifiziert, wurde tatsächlich nur ein kleines Subkollektiv von 161 Zyklen verwendet, nämlich die, in denen ein von den Frauen durchgeführter home-use LH-Test vor dem Temperaturanstieg positiv wurde. Aus dieser Selektion wird die Problematik der vom Hersteller angegebenen Präzision von 0,6% ersichtlich.
In der zweiten, retrospektiven Studie mit 4054 Frauen blieben von 70% der Teilnehmerinnen essentielle Daten unbekannt, da sie auf den Studienfragebogen nicht antworteten und nur in 8% der Zyklen lagen die notwendigen Angaben zum Sexualverhalten vor. Außerdem wurden Kurzzeitanwenderinnen, die in den ersten drei Monaten ausgeschieden sind (möglicherweise wegen einer ungeplanten Schwangerschaft), nicht berücksichtigt. Spätestens seit Trussell ist klar, dass retrospektive Studien grundsätzlich zur Beurteilung der Methodeneffektivität ungeeignet sind.

Zur Bewertung durch den TÜV führt dieser selbst aus: „Der Hersteller muss eine technische Dokumentation erstellen, auf deren Basis die Benannte Stelle die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen überprüft… Die TÜV SÜD Product Service GmbH hat in ihrer Funktion als Benannte Stelle für Medizinprodukte die App ‚Natural Cycles‘ nach den Vorgaben der europäischen Medizinprodukterichtlinie geprüft. Dazu gehörte die Überprüfung der technischen Dokumentation und der klinischen Bewertung des Herstellers sowie die Begutachtung und Zertifizierung des Qualitätsmanagementsystems gemäß EN ISO 13485 und 93/42/EWG (MDD).“ Der TÜV bewertete also aufgrund der Herstellerangaben und führte keine eigenen Untersuchungen zur Verhütungssicherheit von NaturalCycles durch – ebenso wenig wie die FDA.