62. Kongress der DGGG
31. Oktober – 3. November 2018, CityCube Berlin

 

Epigenetik in der Reproduktionsmedizin: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse

Epigenetik in der Reproduktionsmedizin: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse. 

Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Verena Nordhoff, Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie (CeRA), Universitätsklinikum Münster 

Genmutationen, schon seit über 100 Jahren bekannt, verändern die Basenabfolge eines einzelnen Gens in unserem Erbgut. Vor etwa zehn bis 15 Jahren wurde festgestellt, dass nicht nur Genmutationen, sondern auch nicht-genomische Veränderungen, auch epigenetische Modifikationen genannt, in der Regulation von Genen eine wichtige Rolle spielen. Durch epigenetische Modifikationen wird reguliert, wann und in welchem Ausmaß ein Gen ein- und ausgeschaltet werden kann. 

Epigenetische Modifikationen verändern die DNA, ohne die eigentliche Basenabfolge abzuwandeln. Dies geschieht a) durch Methylierung der DNA an spezifischen Stellen im Genom, b) durch Modifikation von Histonen, die für die Packung der DNA wichtig sind, oder c) durch nicht-codierende RNAs. Epigenetische Veränderungen modulieren die Expression von Genen und ermöglichen so eine fast endlose Variabilität von Expressionsmustern in jeder einzelnen Zelle unseres Körpers. Epigenetische Modifikationen können auch über die Keimbahn weitergegeben werden. Dadurch werden sie an die nächste Generation oder sogar die nächsten Generationen vererbt. 

Der Vorgang der DNA-Methylierung scheint die wichtigste epigenetische Veränderung zu sein, denn vor allem in Keimzellen spielt sie eine wichtige Rolle. Wenn ein Gen methyliert ist, ist es normalerweise ausgeschaltet. Wenn die Methylierung entfernt würde, dann käme es zum Ablesen des Gens, obwohl es ausgeschaltet sein sollte. 

Methylierungsmuster in Körperzellen sind normalerweise stabil. In der Keimbahn gibt es jedoch zwei Zeitpunkte, in denen Methylierungsmuster verändert, also reprogrammiert werden: 1) zum Zeitpunkt der Entstehung der verschiedenen Keimblätter im Präimplantationsembryo und 2) zum Entstehungszeitpunkt der Vorläuferkeimzellen während der Embryonalentwicklung im Fetus. 

Nach der Verschmelzung von Eizelle und Spermium wird das väterliche Genom aktiv, und das mütterliche Genom passiv demethyliert. Während der ersten Entwicklungstage vor der Einnistung werden unterschiedliche epigenetische Markierungen in den neu etablierten Keimblättern des frühen Präimplantationsembryos gesetzt. Einigen Genen gelingt es, dieser Löschung zu entrinnen. Diese Gene nennt man auch geprägte Gene, man spricht von Imprinting. Solche Gene sind entweder nur auf der Genkopie der Mutter oder der Genkopie des Vaters methyliert und somit ausgeschaltet. Dies ist wichtig, damit die Menge an Genprodukt die Entwicklung des Embryos optimal unterstützen kann. 

Intrinsische und extrinsische Einflüsse können diese Markierungen jedoch durcheinanderbringen und die weitere Embryonalentwicklung beeinflussen. Ein bekanntes Beispiel für Auswirkungen epigenetischer Veränderungen zeigte sich bei Kindern, die sich während des extremen Winters 1944/1945 in der frühen Fetalphase (1. bis 2. Trimester) im Mutterleib ihrer hungernden Mütter befanden. Diese Kinder waren bei Geburt nicht nur untergewichtig, sie litten später in ihrem Leben auch vermehrt an Depressionen, hatten Herzprobleme oder Diabetes. 

Aber nicht nur Mütter, sondern auch Väter können einen epigenetischen Einfluss auf die nächste Generation nehmen. So wurde z. B. ein veränderter DNA-Methylierungsgrad in Spermien mit den abnormalen Samenparametern infertiler Väter, einer niedrigeren Befruchtungsrate und einer eingeschränkten Embryoentwicklung nach künstlicher Befruchtung assoziiert. 

In unseren eigenen Studien konnten wir zeigen, dass eine normale Spermienprobe ein homogenes DNA-Methylierungsmuster der geprägten Gene aufweist. Wenn jedoch die Muster der geprägten Gene bei Männern mit eingeschränkter Spermienmenge oder -motilität untersucht wurden, fand sich ein Mosaik aus korrektem und nicht-korrektem Methylierungsmuster. Daher vermuten wir, dass die epigenetischen Muster schon in den Vorläuferstammzellen im männlichen Fetus durch intrinsische oder extrinsische Faktoren verändert werden können. Diese Veränderungen können nachfolgend zu epigenetischer Spermienheterogenität, zu Spermienepimutationen und möglicherweise auch zu männlicher Infertilität führen. 

Weitere Untersuchungen, wie genau diese Heterogenität entsteht oder ob es therapeutische Optionen oder Selektionsmethoden für korrekt methylierte Spermien gibt, sind Gegenstand unserer weiteren Forschung. Unsere Untersuchungen könnten einen wichtigen Schritt für die Verbesserung der künstlichen Reproduktion darstellen. 

Kontakt: 

Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Verena Nordhoff
Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie (CeRA) Universitätsklinikum Münster
Albert-Schweitzer-Campus 1
Gebäude D11
48149 Münster
E-Mail: verena.nordhoff@ukmuenster.de
Internet: reproduktionsmedizin.ukmuenster.de